Warum die richtige Beleuchtung für einen gesunden Arbeitsplatz unverzichtbar ist
Die Forschung hat ihr Wissen über den grossen Einfluss von Licht in seiner ganzen Farbpalette auf unseren Schlaf, unsere Verdauung und sogar auf Heisshungerattacken erweitert. Während die zirkadiane Wissenschaft auch dank der wachsenden 4,2 Billionen US-Dollar umfassenden Wellnessindustrie im Mainstream ankommt, kommen neue Beleuchtungssysteme zur Verbesserung von Gesundheit und Produktivität an den Arbeitsplätzen an.
„Unternehmen beginnen darüber nachzudenken, wie Immobilien die die Gesundheit ihrer Mitarbeiter verbessern können,“ erklärt Keara Fanning, die sich bei JLL mit Nachhaltigkeit befasst. „Der Mensch hat sich so entwickelt, dass er mit der Sonne aufwacht und bei Sonnenuntergang schlafen geht. Wenn unsere Beleuchtung das Gegenteil bewirkt, sind wir beeinträchtigt.“
Licht am Ende des Konferenzraums
Lange Zeit haben die Menschen bewölkte Tage mit Müdigkeit und Dunkelheit in Verbindung gebracht. Die Wissenschaft allerdings hat die entsprechenden Zusammenhänge erst vor recht kurzer Zeit nachgewiesen.
Anfang der 2000er-Jahre haben Forscher Photorezeptoren im Auge identifiziert, die nicht unser Sehvermögen unterstützen, sondern zur Kalibrierung unserer inneren Uhr beitragen. Eine andere Forschergruppe hat herausgefunden, dass diese Sehzellen am empfindlichsten auf blaue Lichtwellenlängen reagieren - und dass diese Wellenlängen die Produktion von Melatonin hemmen, Dieses Hormon bereitet unseren Körper auf den Schlaf vor. Eine intensive Bestrahlung mit blauem Licht hält uns nachts also wach – und unterstützt tagsüber unsere Konzentration.
Diese Erkenntnis hat „circadiane Hacks“ hervorgebracht, etwa Nachtbrillen, die blaues Licht herausfiltern oder Sonnenlampen, die bei Winterdepressionen helfen oder unsere Aufmerksamkeit steigern. Die Grundprinzipien werden ebenso auf Arbeitsplätze angewendet, um die Gesundheit der Mitarbeiter zu verbessern.
Im Architekturbüro der Arup Group in Boston wurde beispielsweise ein zirkadianes Lichtdesign umgesetzt, das die Farbtemperatur und -intensität über den Tag hinweg verändert, um eine der Vorgaben des WELL Building Standards zu erfüllen. Dabei handelt es sich um ein Programm für Gebäude, Innenräume und Gemeinschaften, das darauf abzielt, Funktionen zur Unterstützung und Förderung der menschlichen Gesundheit und des Wohlbefindens zu implementieren, zu validieren und zu messen. In diesem Büro wird ein Ausgleich zwischen der verfügbaren natürlichen Beleuchtung und dem indirekten elektrischen Licht geschaffen, der für einen ausgewogen und gut beleuchteten Raum sorgt. Wärmere Lichtfarben, die über einen geringeren Anteil an schlafstörendem Blaulicht verfügen, kommen im abendlichen Lichtkonzept zum Einsatz.
In der Delos WELL Certified Platinum-Zentrale im New Yorker Meatpacking District kombiniert ein Beleuchtungssystem dynamische, farbveränderliche LEDs mit Tageslicht- und Präsenzsensoren, um über den gesamten Tag die gewünschten Lichtverhältnisse zu erreichen. Dieses zirkadiane Beleuchtungssystem zielt darauf ab, die innere Uhr im 24-Stunden-Rhythmus zu belassen. Tagsüber wird helles blaues Licht abgestrahlt, das Melatonin blockiert, gegen Abend dagegen dunkles gelbliches Licht, das die Produktion des Hormons ankurbelt.
Da Menschen viel Zeit an ihrem Arbeitsplatz verbringen, kann die Bürobeleuchtung einen noch grösseren Einfluss auf die Signale des Körpers haben als die Tages- oder Nachtzeit. „Der Körper mag eindeutige Botschaften,“ sagt Shruti Koparkar, Leiter für Unternehmensstrategie und -entwicklung bei Ecosense Lighting, einem Unternehmen, das eine patentierte Beleuchtungstechnologie mit besonderem Fokus auf biologisch wirksame Beleuchtung mittels Spektralmodulation entwickelt. „Viel Licht mit einem hohen Blauanteil signalisiert Tag und weniger Licht mit einem geringeren Blauanteil signalisiert Nacht – je größer der Unterschied, desto einfacher ist es für uns, sich an einen 24-stündigen Tag-Nacht-Rhythmus anzupassen. Ist der Unterschied gering, verwirrt dies den Körper.”
Natürliches Licht und Design
Natürliches Tageslicht ist ideal für eine Büroumgebung. Als umfassendste Lichtspektrum beinhaltet es alle Farben und bietet die besten Sichtverhältnisse. Ein offener Büroraum ohne Abtrennungen, in dem das Licht den Arbeitsplatz ungehindert durchfluten kann, hat entsprechend vielen Unternehmen geholfen, diese Beleuchtung zu erreichen, so Fanning. „Idealerweise sollte jeder Mitarbeiter freie Sicht nach draussen haben,“ erklärt er. „Ist dies nicht möglich, kann man einen Durchbruch durch das Dach herstellen und einen Lichtschacht in das Gebäude einbauen – oder Licht über Spiegel ablenken, um einen Raum zu beleuchten.“ Hierzulande ist der direkte Bezug nach Aussen für Büroarbeitsplätze jedoch zwingend gefordert. Ausnahmen gelten beispielsweise für Besprechungsräume, die nicht den ganzen Tag über genutzt werden, ergänzt Stefanie Eisenbarth, Team Leader Workplace Strategy bei JLL.
Laut Jessica Cooper, Chief Commercial Officer des International WELL Building Institutes, das den WELL Building Standard entwickelt hat, ist auch der Blendschutz ein wichtiger Aspekt beim Design für Mitarbeitergesundheit und Komfort. Der Zeitraum, in dem die Sonne in einem bestimmten Bereich direkt blendet, sei jedoch in der Regel nur kurz. „Manuelle Jalousien werden von den Mitarbeitern häufig geschlossen, sobald sie zehn Minuten lang geblendet werden. Sie vergessen jedoch, sie wieder zu öffnen“, gibt sie zu bedenken. „Dies wirkt dem Ziel entgegen, in einem Raum so lange wie möglich Tageslicht und freie Sicht zu haben.”
Wechsel zu automatisierten Systemen
Hier kommen automatisierte Verschattungssysteme ins Spiel. Die nach dem WELL-Goldstandard zertifizierte Zentrale von Mirvacs in Sydney verfolgt einen innovativen Ansatz. Das Gebäude ist mit einer Dreifachverglasung ausgerüstet, deren Schichten durch kleine Hohlräume voneinander getrennt sind. In einem dieser Hohlräume, zwischen zwei Glasschichten, ist ein Verschattungssystem angeordnet, das sich den ganzen Tag über der Bewegung der Sonne anpasst.
Die Fassade sorgt für Energieeffizienz und optimale Wärmedämmung und reduziert zudem die Blendung, um einen optimalen Sehkomfort zu erhalten. Sind die Verschattungslamellen vollständig geschlossen, geben sie einen sanft goldenen Lichtreflex ab, der den Innenraum erhellt. Wenn die Sonne nicht blendet, sind die Jalousien vollständig geöffnet und bieten einen herrlichen Ausblick nach draussen.
„Automatisierte Verschattungssysteme kommen immer häufiger zum Einsatz, sind aber noch nicht weit verbreitet und erfordern zusätzliche Investitionen,” erklärt Cooper. „Diese Lösung erfordert motorbetriebene Jalousien, die in Abhängigkeit vom Sonneneinfall angehoben oder herabgelassen werden. Manche Technologien reagieren auf Tageslichtsensoren, die auf der Innen- und Aussenseite des Gebäudes angebracht sind, damit die Jalousien noch stärker auf Lichtstärke und Blendung reagieren.”
In Räumen, in denen kein Tageslicht verfügbar ist, stellt ein imitierendes Beleuchtungssystem die bestmögliche Alternative dar. Ecosense haben ein informelles Experiment mit den eigenen Mitarbeitern durchgeführt und einen Prototyp ihrer dynamischen Beleuchtungstechnologie in einem fensterlosen Raum installiert. In der ersten Woche arbeiteten die Teilnehmer bei statischer Beleuchtung. In der zweiten Woche sassen sie vor Lichtplatten, deren Farbtemperatur im Verlauf des Tages von kalt zu warm wechselte. In der Abenddämmerung wurden Mitarbeiter, die so spät noch arbeiteten, noch wärmerem Licht ausgesetzt. Die Teilnehmer empfanden die Veränderung als hilfreich. Einer bezeichnete das Nachmittagslicht als beruhigend und gut für die Anpassung an das Restlicht auf dem Nachhauseweg.
„Das Konzept von sich wandelnder Lichtfarbe lässt sich übrigens über die Grundbeleuchtung hinaus bei der Aktzent- und Punktbeleuchtung verwirklichen. Ergänzt um die eher wohnliche Beleuchtung, wie sie in Nebenflächen wie Lounges und Cafés zum Einsatz kommt“, beschreibt Stefanie Eisenbarth die vielfältigen Möglichkeiten.
„In der Natur bewegt oder verändert sich alles,” sagt Koparkar. „Dieses Experiment hat uns gezeigt, dass Menschen möglicherweise glücklicher sind, wenn die Beleuchtung dem möglichst nahekommt. Die ideale Lösung wäre, ins Freie zu gehen. Ist dies jedoch nicht möglich, können wir das Freie vielleicht in den Raum integrieren.”