Artikel

Nachhaltigkeits-Zertifikat – brauchen Gebäude diesen „Ausweis“ wirklich? 3 Fragen an Martin Hofmann

April 10, 2018

Fassaden mit grossen Fensterflächen, Dachgärten, grüne Loggien entlang der Stockwerke, Gastronomie, und ein Park mit Sitzgelegenheiten und einem 50-Meter-Pool zum Bahnenschwimmen in der Pause – das Münchener Büro-Areal „neue balan – campus der Ideen“ setzt Massstäbe in Sachen Healthy Place und Nachhaltigkeit. Auch der 15.000 Quadratmeter grosse jüngste Büroneubau auf dem Gelände wurde kürzlich mit LEED Gold zertifiziert. Der Campus der Ideen ist nur eines der Beispiele für ein zukunftsweisendes Zusammenspiel aus Ökologie und Nutzerattraktivität – und hier sicher eines der herausragenden. Die Zahl der Gebäude mit Nachhaltigkeitszertifikat (DGNB, BREEAM, LEED) steigt deutlich. Der mit den gängigen Zertifikaten DGNB, BREEAM und LEED „ausgestattete“ Büroflächenbestand ist in den Big 7 im Laufe des Jahres 2017 auf knapp 7 Mio. m2 angewachsen. Ganze 400.000 Quadratmeter mehr als noch ein Jahr zuvor. Das liegt hauptsächlich an der Fertigstellung neuer Büroimmobilien.

Aber heisst das jetzt im Umkehrschluss, dass Bestandsgebäude in Sachen Nachhaltigkeit hinten runterfallen müssen? Müssen jetzt alle Neubauten in solcher Dimension und Ausstattung angelegt sein wie der Campus der Ideen? Und bringt ein Zertifikat – für Neu- wie Altbau – eigentlich überhaupt etwas, wo Gebäude gerade hierzulande doch schon „von Natur aus“ strengen Nachhaltigkeitsrichtlinien unterliegen? Martin Hofmann, Head of Project & Development Services JLL Germany, blickt tiefer. 3 Fragen – 3 Antworten:

     

     

Die EnEV hat mit Richtlinien wie zu Primärenergiebedarf, Luftdichtheit oder Reduzierung von Wärmebrücken bereits hohe Nachhaltigkeitsansprüche an Neubauten. Bringt da ein Zertifikat überhaupt nochmal zusätzlichen Mehrwert?

Generell ist das richtig. Die EnEV setzt bereits hohe Massstäbe an die Nachhaltigkeit von Gebäuden und ist bei der letzten Neuauflage im Jahr 2013 nochmals verstärkt worden. In Sachen Energiebilanz bringt die EnEV Gebäude durch die Reglementierung also schon ganz automatisch auf ein ähnliches Niveau wie das, welches in den entsprechenden LEED-, BREEAM- oder DGNB-Zertifikaten verlangt wird. Der entscheidende Unterschied liegt auch nicht im „Grünen“, sondern im Ganzheitlichen. Nachhaltigkeitszertifikate gehen viel tiefer und weiter als die ENEV, die ja in der Hauptsache der Erreichung und Einhaltung der europäischen Klimaziele dient, und beziehen neben der Ökologie auch ökonomische und soziokulturelle Aspekte in die Prüfung und Bewertung mit ein.

Stimmt auch die wirtschaftliche Effizienz mit Blick auf Betriebskosten, Umnutzungsfähigkeit des Gebäudes und die Relation von nutzbaren Flächen im Verhältnis zur Gesamtfläche? War bereits die Planung und Bauausführung nachhaltig z.B. durch hochwertiges Recycling von Reststoffen? Stimmen die technischen Details wie Schallschutz und Konnektivität? Sind Barrierefreiheit und gute Lichtverhältnisse gegeben? Und passt auch die Wahl des Standortes in Punkto Verkehrsanbindung, Gastronomie, Parkanlagen und Parkflächen? Fehlt all das, würde die Immobilie von ihren Nutzern nicht angenommen werden – und damit an Wirtschaftlichkeit einbüssen.

Es geht nicht darum, energetisch die beste Immobilie, sondern ganzheitlich die beste Immobilie zu haben. Insofern bringen Zertifizierungen definitiv einen sicht- und spürbaren Mehrwert mit Blick auf die Vermarktung der Flächen.

Der CESAR zeigt es deutlich: Insbesondere durch Neubauten steigt der Anteil an zertifizierten Gebäuden. Sollte auch der Bestand mehr in den Fokus rücken und wie kann er das?

Ja, der Bestand sollte definitiv mehr in den Fokus rücken. Immerhin nimmt er einen Grossteil aller genutzten Bürogebäude ein. Ein Teil der Eigentümer von Bestandsgebäuden ist durchaus interessiert an einer Zertifizierung ihres Bestandes – hier bietet BREEAM den momentan besten Ansatz. Das Verfahren wird aber allgemein als zu teuer angesehen. Und letztlich hat auch der aktuell extrem geringe Büro-Leerstand einen grossen Einfluss auf die Bereitschaft, sein Gebäude auf „nachhaltigen Vordermann“ zu bringen. Mieter stehen quasi Schlange – warum sollte man da zertifizieren?

Kurzfristig ist diese Denkweise verständlich, langfristig aber ein Risiko. Denn man sollte bereits jetzt am Bestand arbeiten, um sich auch künftig Wettbewerbsvorteile zu sichern. Unternehmen werden zunehmend sensibler, was Ausstattung, Nachhaltigkeit und Healthiness ihrer Büroräume angeht. Weil sie aufmerksamer auf den Kostenpunkt Immobilie blicken und sich der effizienteren, oft auch smarten Möglichkeiten bewusster werden. Und weil die Qualität des Arbeitsplatzes im Kampf um Talente zu einem der entscheidenden Faktoren geworden ist.

Letztendlich weiss auch niemand, wie die Situation auf dem Büromarkt in drei, fünf oder auch zehn Jahren aussehen wird. Wer das Thema mehr Nachhaltigkeit im Bestand, vor allem auch über eine Zertifizierung, frühzeitig angegangen ist, wird dann besser aufgestellt sein. Oft führen hier schon verschiedene Einzelmassnahmen wie der Austausch einer Klimaanlage, das Schaffen von Fahrradabstellflächen oder das Installieren von Stromtankstellen in der Tiefgarage zu einer spürbaren Verbesserung der Gebäudeökologie und Aussenwirkung. Was im Einzelnen mit Blick auf eine Zertifizierung zu tun ist, ist je nach Gebäude verschieden, eine begleitende professionelle Beratung sinnvoll.

In letzter Konsequenz ist natürlich auch eine Radikalkur möglich oder auch notwendig, wie beim jüngst zertifizierten Projekt Forty Four in Düsseldorf. Hier wurde ein in die Jahre gekommenes Bestandsgebäude revitalisiert und in einen rundherum angeordneten Neubau integriert. Lediglich die Tragstruktur blieb erhalten; im Verbund mit neu errichteten Glas- und Aluminiumfassaden, Dachterrassen und Begrünung erhielt es jetzt die LEED-Zertifizierung.

Führen zertifizierte Gebäude zu höheren Mieteinnahmen bzw. besseren Ergebnissen beim Exit?

Ich denke, mit Blick auf meine Aussagen oben wird klar, warum ein zertifiziertes Gebäude – ob im Neubau oder im Bestand – seinen Nutzern nur Vorteile bringt. Und zwar geprüfte Vorteile, auf deren Vorhandensein Mieter zunehmend achten. Demnach entstehen durchaus Vermarktungsvorteile für zertifizierte Immobilien. Und gerade für Neubauentwicklungen sind BREEAM und Co. mittlerweile zum Standard, wenn nicht gar Must Have, geworden. Schliesslich klappt’s nicht nur mit der Vermietung schneller, sondern es lassen sich – insofern man die Zertifizierung so frühzeitig wie möglich angeht – bereits in der Planungshase von Projektentwicklungen viele Kosten vermeiden, z.B. durch die gezielte Ausschreibung der entsprechenden Gewerke und überlegte Auswahl alternativer Baumaterialien.

Von Antje Dalichow

Want more? Talk to the team