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Wie geht Gesundheit und Wohlbefinden im Büro? 3 Fragen an Stefanie Eisenbarth

August 16, 2017

Ob man es noch hören kann oder nicht. Google ist Vorreiter in vielen Dingen. Vor allem mit seinen Büro- und Arbeitswelten. Von Rückzugs- und Fitnessbereichen über beschreibbare Wände und Bibliothek mit Müslibar bis hin zu Massagesesseln ist alles vertreten und selbstverständlicher Standard – nicht umsonst zieht es junge Talente in Scharen zu dem Internetgiganten.

  

  

In den meisten Büros deutscher Unternehmen ist das anders: Deutsche Arbeitnehmer verbringen ca. 72 Prozent ihrer Zeit an ihrem Schreibtisch, sitzend und oft etwas gekrümmt. Das kann Folgen haben für Gesundheit und Wohlbefinden. Mehr Räume, die genau das fördern, müssen her – immerhin kommen bisher nur 18 Prozent der Arbeitnehmer in diesen Genuss.

Aber das ist oft einfacher gesagt, als getan. Man ist schliesslich nicht Google, hat weder dessen Raumkapazitäten noch Manpower, die sich ausschließlich ums körperlich-geistige Wohl der Mitarbeiter kümmert. Wie schafft man mit einfachen Mitteln Wohlfühl-Bereiche? Wie sehen solche Flächen eigentlich genau aus? Was gehört rein und dran? Und ist das wirklich zielführend in Hinblick auf Mitarbeiterzufriedenheit und Produktivität? Stefanie Eisenbarth, Team Leader Workplace Strategy JLL Germany, blickt tiefer. 3 Fragen – 3 Antworten:

1. Wir brauchen mehr Wohlfühlbereiche im Büro. Klingt gut, aber auch ein bisschen schwammig. Was sind Wohlfühlbereiche oder solche, die Gesundheit fördern?

Mit Wohlfühlbereichen im Büro assoziieren wir in der Regel vor allem Räume, die den jeweiligen Arbeitsstil fördern oder Abwechslung in den Arbeitsalltag bringen – allen voran Bereiche zum Get Together, Kaffeetrinken oder Essen. Sie bilden unser Freizeitverhalten ab und geben Möglichkeit zum sozialen Austausch. Und beides sind Grundvoraussetzungen für das Wohlfühlen. Gerade in den letzten Jahren richten Unternehmen vermehrt kleine Bar-Ecken oder Lounge-Bereiche mit Snackmöglichkeit ein, oft sogar auch mit Franchise-Bistro.

Allerdings beschränken sich die „Wohlfühlbereiche“ in drei Viertel der Büros immer noch auf die klassischen Pflichträume wie Liege- oder Erste-Hilfe-Raum. Sie sind der Ursprung für die heutige Entwicklung, aber in ihrer reinen Zweckorientierung und Ausschliesslichkeit längst überholt. Heute muss man sich fragen, was der jeweilige Wohlfühlbereich leisten soll – Fun, Erholung oder die Möglichkeit zum kreativen Ausleben – und diesen entsprechend danach ausstatten. Es geht auch nicht mehr nur um einzelne, abgeschottete Räume, sondern auch um die Frage, inwieweit man das komplette Gebäude oder einen ganzen Campus als Arbeits- und Wohlfühlbereich mit verschiedenen Zonen ausrichtet. Nicht nur für die Mitarbeiter selbst. Lounges, Bistros oder WiFi-Zonen stehen immer öfter auch für Kunden und den ungezwungenen Austausch mit Partnern offen.

Immer wichtiger wird auch die Einbeziehung von Aussenflächen, z.B. über große Glasflächen mit Blick nach draußen oder Sitzbereiche auf Dachterrassen und Balkonen. Noch mehr „Wir-Gefühl“ schaffen neue Konzepte wie Roof Top Gardening oder gemeinsame Gemüsegärten, die neben dem gesunden Frisch-Luft-Tanken bewusst entschleunigen. Denn auch das ist etwas, das moderne Wohlfühlbereiche im Büro leisten müssen. Neben körperlicher Gesundheit spielt eben auch die geistige eine grosse Rolle, bedenkt man die steigende Zahl von Burnout-Erkrankungen. Dafür braucht es nicht nur räumliche Veränderungen, sondern auch entsprechenden Führungsstil, respektvolle Anerkennung und Sinnstiftung. Beim Wohlfühlen kommt es auf Ganzheitlichkeit an.

2. Aber wie setzt man das in die Praxis um, vor allem, wenn man wenig zusätzlichen Raum und begrenzte Fläche hat?

Oft hat man viel mehr Fläche, als man zunächst denken mag. Vor allem Flure und kleine Nischen in Gängen oder zwischen Räumen werden als nicht nutzbare Restfläche vernachlässigt. Aber: Gerade hier lassen sich wertvolle Quadratmeter herausholen und für „Wohlfühl-Zwecke“ nutzen. Schon zwei von der Wand ab- und ausklappbare Stühle schaffen die Möglichkeit für spontane Gespräche oder eine kreative Kaffeepause zwischendurch. Oder warum sollte man den Flur nicht als „Erlebnismeile“ mit Möglichkeiten zur Bewegung gestalten, z.B. durch zwei farblich abgesetzte Bodenfliesen, über die man drüber springen muss.

Gerade in grösseren Bürokomplexen bieten sich Shared Facilities an. Kantinen, grosse Meetingräume oder Kreativzonen lassen sich gut teilen, fördern das Zusammenkommen genauso wie das Rauskommen und die Abwechslung. Das heisst nicht nur mehr Wohlfühlen für den einzelnen Mitarbeiter, sondern schafft Innovation und bringt so letztendlich auch das Geschäft voran.

Etwas ungewöhnlicher, aber gerade auf sehr begrenztem Raum gut umsetzbar, sind die Möglichkeiten, die heutige Virtual-Reality-Techniken bieten. Ein Egg Chair in der Ecke mit VR-Brille und angeschlossener Wii sorgt wahlweise für Bewegung oder Meditation. Platz sparen und Quality Time erhöhen geht darüber hinaus auch über durchdachte Home-Office-Regelungen.

– Raum für Konzentration ist mit Abstand die Priorität für die meisten Arbeitnehmer, unabhängig von Rang und Alter. Dieser Wunsch liegt über dem weltweiten Durchschnitt von 47% und am höchsten von allen untersuchten europäischen Ländern.

– Raum für Erholung ist für Führungskräfte (42%) und jüngere Menschen (43%) wichtiger als für andere Gruppen.

– Räume, die Bewegung fördern, sind für jüngere Arbeitnehmer (45%) und Führungskräfte (42%) wichtiger als für andere Altersgruppen.

– Über ein Drittel der Arbeitnehmer finden, dass Räume für Erholung, Inspiration und Bewegung eine Priorität sein sollten – etwas weniger als der weltweite Durchschnitt.

Quelle: JLL-Report „Workplace – Powered by Human Experience

3. Geht das Schaffen solcher Möglichkeiten immer so einfach? Welche Herausforderungen kommen auf Unternehmen zu, wenn sie ihre Flächen entsprechend neu ausrichten wollen?

 Wo es letztendlich um DEN MENSCH geht, müssen auch DIE MENSCHEN einbezogen werden. Und die haben natürlich – je nach Alter, Geschlecht und auch Profession und Aufgabe – unterschiedliche Ansprüche an das Wohlfühlen am Arbeitsplatz. Diese müssen zu Beginn ausgelotet und bei den Planungen berücksichtigt werden. Arbeitswelten „umkrempeln“ darf keine reine Top-Down-Entscheidung sein. Einbindung und nachhaltiges Change Management ist wichtig. Ansonsten kann es sein, dass man völlig „vorbeiverbessert“ an dem, was wirklich notwendig und gewollt ist. Schliesslich müssen die neuen Wohlfühlbereiche auch belebt und genutzt werden.

 Auch die Bewirtschaftung von gemeinschaftlich genutzten Flächen oder Café-Bereichen geht nicht einfach so. Wo verläuft die Grenze zwischen privat und öffentlich? Wie kann das kenntlich gemacht werden? Wie sind die Haftungen, wie die Sicherheitsbestimmungen? Wer wartet das Ganze? Oft müssen auch zusätzliche Betreiber eingebunden werden, z.B. ein Concierge-Service, Barista oder ein Franchise-Unternehmen, das Bistros oder Bars betreibt. Nutzer, Investoren und Facility Manager sind hier gleichermassen gefordert.

Vorsicht auch vor leichtem „Über-Wohlfühlaktionismus“ oder zu viel Multitasking: Ein Call auf dem Laufband wirkt oft kontraproduktiv, sowohl für Arbeitsqualität als auch die Bewegung. Das Büro muss nicht mit Couch-, Sport- und Spabereichen überladen werden. Der Gegentrend zum Google Campus, der das Zuhause ersetzt, ist gerade hierzulande spürbar. Wohlfühlen und Fithalten über unterschiedliche Reize und Beschäftigungsmöglichkeiten ja. Wohnfeeling und Wohnzimmer-Ersatz nein.

Aktueller JLL-Report „Workplace – Powered by Human Experience:

Ein Arbeitsplatz ist mehr als nur eine Immobilie. Er ist eine Umgebung, die dazu beitragen kann, dass Personen und Unternehmen ihre Ziele erreichen.

Der Report untersucht weltweit und mit Fokus Deutschland, was Arbeitnehmer an ihrem Arbeitsplatz brauchen, um engagiert und produktiv zu sein.