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Lautlos schweben von Flur zu Flur – revolutioniert der horizontale Aufzug unsere Hochhäuser?

August 10, 2017

„Ich fahr mal schnell zehn Zimmer weiter.“ Was jetzt so klingt, als hätte man sich verhört, könnte bald tägliche Büronormalität werden. Raus aus dem Raum, 50 Meter nach West oder Ost, sechs Stockwerke nach oben und dann nochmal zehn Sekunden nach rechts – die Aufzugtechnik fährt seit Neuestem auf Zick-Zack-Kurs. Und damit steil nach oben, wenn es nach Thyssen-Krupp geht.

     

     

Dessen Ableger Thyssen-Krupp Elevator AG hat jetzt ihre jüngste und, wenn sich die eigenen Aussagen auch in der Praxis bestätigen, bahnbrechende Entwicklung vorgestellt: Den Multi. Zugegeben, der Name könnte für alles und nichts stehen. Aber das, was dahinter steckt, ist das erste wirklich Neue und Besondere in der Aufzug-Industrie, seit Elisha Graves Otis vor 164 Jahren den absturzsicheren Fahrstuhl mit Fangvorrichtung erfand.

Multi ist ein Aufzug-System, das sowohl nach oben und unten als auch seitwärts fährt. Ganz ohne Stahlseil, sondern auf lautlosen Sohlen getrieben von einem magnetischen Feld. Ein zahnradähnlicher „Exchanger“ sorgt für den Richtungswechsel. Multi ist ein Transrapid im Hochhaus. Ein Paternoster auf High Speed. Und im Multi gibt‘s nicht nur eine Aufzugkabine, sondern gleich mehrere Kabinen, die gleichzeitig durch die Schächte rotieren können.

Für Personen ist der neue Aufzug noch nicht zugelassen. Der TÜV muss erstmal ran. Und doch hat mit OVG Real Estate der erste Investor bereits angekündigt, den Weg mitzugehen. Wenn alles glatt und ohne Schnürchen läuft, wird MULTI bereits in wenigen Jahren geschäftig aber lautlos durch den geplanten Berliner East Side Tower schweben.

Die letzten Meilensteine in der Geschichte des Aufzuges sind Jahrzehnte her. Stehen wir jetzt wieder an einem entscheidenden Punkt? Ist der waagerechte Aufzug nur eine aufregend-nette Spielerei Science-Fiction begeisterter Ingenieure oder bietet er handfeste Vorteile? Wird er sich durchsetzen oder doch ein Few Hit Wonder in einigen Prestigebauten bleiben? Und wie wird er Gebäudestruktur, Raumnutzung und Innendesign verändern?

Für Personen ist der neue Aufzug noch nicht zugelassen. Der TÜV muss erstmal ran. Und doch hat mit OVG Real Estate der erste Investor bereits angekündigt, den Weg mitzugehen. Wenn alles glatt und ohne Schnürchen läuft, wird MULTI bereits in wenigen Jahren geschäftig aber lautlos durch den geplanten Berliner East Side Tower schweben.

Die letzten Meilensteine in der Geschichte des Aufzuges sind Jahrzehnte her. Stehen wir jetzt wieder an einem entscheidenden Punkt? Ist der waagerechte Aufzug nur eine aufregend-nette Spielerei Science-Fiction begeisterter Ingenieure oder bietet er handfeste Vorteile? Wird er sich durchsetzen oder doch ein Few Hit Wonder in einigen Prestigebauten bleiben? Und wie wird er Gebäudestruktur, Raumnutzung und Innendesign verändern?

Mehr Kapazität, mehr Platz, mehr Miete

„Enormer Verbrauch an Nutzfläche, hohe Instandhaltungs- und Energiekosten und vor allem Wartezeiten zu Stosszeiten – das sind die aktuell grössten Herausforderungen, die unsere herkömmlichen Aufzugsanlagen für Nutzer wie für Investoren, Entwickler und Gebäudebetreiber mit sich bringen“, sagt Martin Hofmann, Head of Project & Development Services JLL Germany. „Eine Weiterentwicklung oder Innovation ist daher dringend von Nöten.“

Und die scheint ThyssenKrupps MULTI auch im Hinblick auf die oben genannten Probleme zu bringen. Mehrere Aufzüge in einem Schacht reduzieren die Wartezeiten vor allem in Gebäuden mit zweistöckiger Stockwerkzahl um ein Vielfaches – insgesamt soll alle 15 bis 30 Sekunden der Zugang möglich sein. Ausserdem lässt sich so mehr Fläche im Gebäude für die tatsächliche Büro- oder Wohnnutzung einplanen. „Hier zeigt sich das Innovative“, sagt Martin Hofmann. „Der Platzbedarf für den Aufzug wird um 50 Prozent verringert, die Förderleistung aber gleichzeitig um mindestens denselben Wert erhöht.“ Energie- und Wartungskosten können zudem über ein digital gesteuertes System reguliert und reduziert werden.

„Für Investoren bedeutet das im Vorfeld zwar etwas höhere Entwicklungskosten – vor allem in der Anfangszeit, wenn die neue Technik noch kostspieliger ist“, so Hofmann. „Aber die zusätzlichen Quadratmeter an Nutzfläche bringen mehr vermietbaren Raum, sei es für Büros oder für Wohnungen, und damit auch mehr Mieteinnahmen – langfristig. Hinzu kommt, dass gerade deutsche Büronutzer gerne horizontal auf einer Ebene arbeiten. MULTI könnte hier längere Wege kompensieren.“

Höher hinauf kann auch problematisch sein

Gerade in den grossen Metropolen, die immer mehr mit Engpässen an Platz und Verfügbarkeit von Grundstücken zu kämpfen haben, bieten sich mit der neuen Technik neue Möglichkeiten. Martin Hofmann: „Dem Bauen in die Höhe sind somit einmal mehr weniger Grenzen gesetzt. Aktuell muss man ab einer bestimmten Höhe den Aufzug wechseln, da dieser die zunehmende Zugkraft sonst nicht mehr tragen kann. Mit der Transrapid-Technik ohne Seil und dem horizontalen Wechsel in einen neuen Schacht ist Umsteigen nicht mehr notwendig.“

„Allerdings“, so Hofmann weiter, „tauchen in diesem Zusammenhang neue Fragen auf, die technische Lösungen erfordern, wie zum Beispiel der bei der Überwindung grösserer Höhen auftretende Druckwechsel in der Kabine.“ Bisher existiert das neue Aufzugssystem nur als Planung und im Testturm. Sicherheitstests sind im Vorfeld noch zu Hauf durchzuführen, bis MULTI praxis-fahrtüchtig wird. Martin Hofmann: „Ob die Technik sich für neue Hochhäuser durchsetzen wird, ist noch überhaupt nicht abzuschätzen. Die Entwicklung zur Marktreife wird sich höchstwahrscheinlich noch Jahre hinziehen.“

Ist der horizontal-vertikale Lift DIE Lösung für die Letzte Meile?

„Gerade mit dem globalen Blick werden sich Megacities, die sowohl in Bevölkerungszahl als auch Höhe signifikant wachsen, ausweiten und damit der Bedarf an solchen innovativen Lösungen steigen genauso wie der Nachdruck, mit dem an der Entwicklung gefeilt wird“, sagt Britt Habermann, Team Leader Industrial Agency in der grössten deutschen Stadt Berlin. „Hinsichtlich der Versorgung von Städten wird in diesem Zusammenhang schon seit Jahren an nachhaltigen und zukunftssicheren Lösungen für die Letzte Meile gearbeitet. Aktuell liegt hier der Fokus eher bei Mikrodepots mit Auslieferung per Lastenrad oder der Umnutzung innerstädtischer Flächen wie leeren Shopping-Centern oder Parkhäusern. Techniken wie der MULTI sind für die logistische Praxis noch zu weit weg, um ihre Wirkung auf Lieferketten gerade in den Innenstädten abschätzen zu können.“

Denkbar ist es aber, wenn auch als noch weit entferntes Zukunftsszenario. Britt Habermann: „Als Teil eines gut verzweigten unterirdischen Metronetzes, das über die Aufzugssysteme direkt mit den darüber liegenden Gebäuden – und hier eben dann auch Warenlagern, Mikrodepots oder Geschäften – verbunden ist, könnte eine höhere innerstädtische Effizienz der Lieferkette erreicht werden. Auch in grossen, noch weiter vermehrt entstehenden Konsolidierungszentren vor den Städten kann ein horizontal-vertikales Aufzugssystem für einen schnelleren Ablauf der Kommissions- und Auslieferungsprozesse sorgen. Gerade dann, wenn Lagerflächen aufgrund von zunehmendem Platzmangel in die Höhe wachsen.“

Der Beginn einer ganz neuen Stadtästhetik?

Neben räumlichem Nutzen und Effizienz kommt eine nicht minder spannende ästhetische Komponente hinzu: Das vertikal-horizontale Aufzugssystem hat auch das Zeug, unsere Grossstadt-Silhouetten zu verändern. „Wenn Aufzüge plötzlich auch mal ein paar Meter horizontal fahren können, kann sich auch die Hochhaus-Architektur allgemein vom strengen „Gerade-nach-oben“ frei machen“, sagt Martin Hofmann. „Komplett neuartige Gebäudekubaturen, wie aufeinander gestapelte Würfel, stufenartig ansteigende Bauten oder ganze miteinander verbundene Hochhaus-Gruppen, sind plötzlich möglich – natürlich immer innerhalb der statischen Möglichkeiten und nur dann, wenn sich auch die Stadtplanung von den alten Schranken löst.“

Ob wir tatsächlich schon 2020 im Berliner East Side Tower zur Seite schweben können, wird sich zeigen. Und trotzdem ist es bereits jetzt spannend, sich vorzustellen, wie eine „kleine“ technische Innovation das Bild unserer Städte und sicher auch die Art, wie wir unsere Arbeit und unsere Mobilität organisieren, verändern könnte.
Von Antje Dalichow