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Die Blockchain kommt – brauchen wir dann noch immobilienwirtschaftliche Institutionen und Vermittler?

April 05, 2018

Axel-Springer-Neubau und Tower 185 – das waren zwei der grössten Branchen-Deals des vergangenen Jahres. Und so unterschiedlich die einzelnen Immobilien und Projekte auch sind, läuft eine Transaktion doch immer nach einem festen Schema ab:

Ein Unternehmen A möchte eine Immobilie oder ein Immobilienportfolio an Unternehmen B transferieren. Dieser Transfer ist hierbei an Vertrauen in eine Reihe von Parteien geknüpft. Nicht nur an Vertrauen in sein Gegenüber, sondern auch Vertrauen in eine Reihe von Drittparteien. Beispielsweise garantiert in Deutschland das Grundbuch als amtliches Register die Rechtmässigkeit des Besitzes von A. Die Bank von B als Vermittler prüft, ob B genügend Geld zur Verfügung hat, ob B das Geld überweisen darf und ob A überhaupt existiert. Nachdem die Rechtmässigkeit auf Herz und Nieren geprüft wurde, führt Bank B die Geldtransaktion an A aus und ein Notar bekräftigt die Änderung der Besitzverhältnisse von A und B im Grundbuch. Nach Abschluss der Transaktion speichern die Drittparteien alle Vorgänge, damit im Zweifel alles nochmal nachverfolgt und nachgewiesen werden kann. Summa summarum ein vielschichtiger, aufwendiger und dadurch teilweise auch fehleranfälliger Prozess, der auf Vertrauen, Nachweisbarkeit und Eineindeutigkeit als zentralem Fundament fusst. Und da sind mehr Augenpaare besser als wenige. Ein Prozess, den man in seinen Grundzügen also nicht unbedingt in Frage stellen sollte.

  

  

Ein Unternehmen A möchte eine Immobilie oder ein Immobilienportfolio an Unternehmen B transferieren. Dieser Transfer ist hierbei an Vertrauen in eine Reihe von Parteien geknüpft. Nicht nur an Vertrauen in sein Gegenüber, sondern auch Vertrauen in eine Reihe von Drittparteien. Beispielsweise garantiert in Deutschland das Grundbuch als amtliches Register die Rechtmäßigkeit des Besitzes von A. Die Bank von B als Vermittler prüft, ob B genügend Geld zur Verfügung hat, ob B das Geld überweisen darf und ob A überhaupt existiert. Nachdem die Rechtmässigkeit auf Herz und Nieren geprüft wurde, führt Bank B die Geldtransaktion an A aus und ein Notar bekräftigt die Änderung der Besitzverhältnisse von A und B im Grundbuch. Nach Abschluss der Transaktion speichern die Drittparteien alle Vorgänge, damit im Zweifel alles nochmal nachverfolgt und nachgewiesen werden kann. Summa summarum ein vielschichtiger, aufwendiger und dadurch teilweise auch fehleranfälliger Prozess, der auf Vertrauen, Nachweisbarkeit und Eineindeutigkeit als zentralem Fundament fusst. Und da sind mehr Augenpaare besser als wenige. Ein Prozess, den man in seinen Grundzügen also nicht unbedingt in Frage stellen sollte.

Blockchain braucht keine Banken und Vermittler mehr

Eine neue Technologie macht jedoch genau das. Blockchain – ein Begriff, der aktuell enorme Aufmerksamkeit geniesst und die ganze Palette an Assoziationen in uns hervorruft: Fortschritt oder Ende etablierter Institutionen und Akteure? Gut oder schlecht für die Immobilienbranche? Zukunft oder Untergang? Sicher ist nur, dass man zwar vage Vorstellungen hat von dem, was Blockchain eigentlich ist – schliesslich ist die Medienpräsenz unübersehbar und auch der Börsengang der Kryptowährung Bitcoin wurde lebhaft wahrgenommen. Aber im Grunde kennt man oft nur wenige Details und ein wirkliches Verständnis der Technologie, dessen, was sie leisten kann oder welche Auswirkungen sie haben wird, fehlt.

Am einfachsten lässt sich Blockchain als ein digitales und manipulationssicheres Logbuch oder eine Datenbank für beliebige Arten von Ereignissen beschreiben, das durch seinen dezentralen Aufbau auf vielen einzelnen Rechensystemen, im Normalfall verteilt über den ganzen Globus, Ausfallsicherheit beim Absturz einzelner dieser Rechensysteme garantiert. Mit Blick auf die Transaktion von Immobilien ersetzt die „Blockkette“ die vorhandenen Vermittler und Drittparteien mit der Hilfe einer rein auf Technologie basierenden Lösung dadurch, dass Vertrauen, Nachweisbarkeit und Eineindeutigkeit auf die Technologie umgelegt werden. Eine grosse Anzahl an Rechensystemen, welche je eine unveränderliche und ständig wachsende Änderungshistorie aller Transaktionen (die Blockchain) speichern, entscheiden im Konsens bzw. Mehrheitsentscheid darüber, welche Version dieser Historie als Wahrheit anzusehen ist. Vertrauen entsteht durch die schiere Zahl der mitwirkenden Rechensysteme. Die Änderungshistorie ist dabei vor Manipulation durch verkettete Verschlüsselung geschützt, so dass Täuschung hypothetisch nur dann möglich ist, wenn man die Mehrheit der teilnehmenden Rechensysteme kontrolliert und die komplette Historie umschreiben kann. Nachweisbarkeit und Eineindeutigkeit der Blockchain (und jeder darin enthaltenen Transaktion) sind somit ebenfalls über die Zahl der mitwirkenden Rechensysteme sichergestellt. Monetäre Werte können dabei direkt über die Blockchain – zum Beispiel als Bitcoin – transferiert werden, denn die Ursprungsidee bestand genau darin, eine dezentral verfügbare digitale Währung zu schaffen, die keinerlei Banken als Vermittler bedarf. Werden reale Assets wie zum Beispiel Immobilien jedoch ebenfalls realisiert, so lassen sich „smart contracts“ implementieren, welche den vollständigen Besitztransfer digitalisierter Assets ganzheitlich digital und ohne Mitwirken von Dritten ermöglichen. Soweit die Theorie.

Transaktionen ohne Dritte – was bedeutet das für die Immobilienwirtschaft?

Doch was bedeutet das für die „etablierten“ Strukturen? Denn letztendlich ist gerade eines der Kernpotenziale der Blockchain-Technologie – das Ermöglichen direkter Transaktionen ohne „Vermittler“ – aus dem Kontext gerissen nicht unbedingt ein Argument, das die Immobilienwirtschaft allzu gerne hört. Zuletzt ist in dieser Hinsicht der Bankensektor durch scharenweise Neugründungen von FinTech Start-ups mit innovativen Geschäftsmodellen für den Finanzsektor – vor allem auch in Verbindung mit Blockchain – in Bedrängnis geraten. Nun wird ein ähnlich grosser Einschlag von Blockchain für den Immobiliensektor prognostiziert – ist PropTech das neue FinTech? Die Frage ist letztendlich also nur allzu berechtigt: Welche Auswirkungen wird Blockchain auf den Immobiliensektor haben? Und wo wird der Einschlagskrater am tiefsten sein?

Aus der Sicht von Ragnar Lifthrasir, dem Vorsitzenden der International Blockchain Real Estate Association (IBREA), verursachen Drittparteien erhebliche Verzögerungen und Kosten bei Speicherung, Verarbeitung, Übermittlung und Zugriff auf relevante Daten in Immobilien-Transaktionsprozessen. Die Blockchain-Technologie dagegen sei in der Lage, Drittparteien zu umgehen und Daten im Prozess kostengünstig und schnell von überall auf der Welt zugänglich zu machen. Geht man mit den aktuellsten Trends, so  sehen einige in der Blockchain bereits das Ende des Plattformkapitalismus und sehnen sich eine Zeit herbei, in der Autobesitzer oder Musiker ihre Dienstleistungen direkt und ohne Umwege über derzeit Online-Plattformen per Blockchain anbieten und abwickeln können. Doch was bedeutet das eigentlich? Bedeutet das, dass Institutionen gänzlich aufgelöst werden, ein jeder auch gleich zum Produzenten oder Dienstleister wird und letztendlich nur noch die Technologie darüber bestimmt, was als richtig oder falsch zu gelten hat?

Blockchain ist reine Technologie – nicht mehr und nicht weniger

Nein. So einfach ist es dann doch nicht, vor allem nicht im Immobiliensektor – und das ist auch gut so. Denn genauso wie alle anderen innovativen Technologien ist auch Blockchain letztendlich an die Akzeptanz und Bestätigung durch die Gesellschaft und ihre amtlichen Vertreter geknüpft.

Aus der reinen Tatsache, dass eine Transaktionshistorie und ein Besitzer für eine Immobilie in einer Blockchain gespeichert sind, entsteht noch lange kein rechtmässiger Besitzanspruch. Erst dann, wenn eine amtliche Institution hinter einem als Blockchain realisierten Grundbuch steht und für Nachweisbarkeit und Eineindeutigkeit dessen bürgt, wie dies zum Beispiel derzeit in  Russland oder  Schweden ausprobiert wird, liessen sich Immobilien als digitale Assets vollständig realisieren.

Aber auch dann ist man noch lange nicht am Ziel, denn über digitalisierte Register verfügen die Institutionen bereits. Die Vorteile der Blockchain-Technologie kommen erst dann richtig zum Tragen, wenn auch alle am selben System anknüpfen und nicht ein jeder seine eigene Blockchain besitzt. Im Hinblick auf den Turnus von öffentlichen Institutionen ist dies jedoch eher eine längerfristige Angelegenheit. Analog verhält es sich mit der eineindeutigen Identifikation von Marktteilnehmern – erst wenn eine amtliche Institution wie das Handelsregister für die Richtigkeit der Angaben garantiert, werden diese auch wirklich nützlich. Andernfalls sind diese ebenso aussagekräftig wie die eines jeden anderen Unternehmensregisters – und davon gibt es viele. Auch sogenannte „smart contracts“ verhalten sich analog – sofern diese von der Rechtsprechung nicht akzeptiert werden, besitzen sie im Zweifelsfall keinerlei rechtliche Aussagekraft.

Letztendlich – und das ist für die Immobilienwirtschaft vielleicht das wichtigste Argument – müssen wir uns fragen, ob wir unser Haus tatsächlich über die Blockchain ohne jegliche „Vermittler“ kaufen oder bauen wollen? Und falls ja, wer wird uns hier hinsichtlich unserer Entscheidung beraten und das für uns passendste und auch wirtschaftlichste Szenario für uns aussuchen? Und was ist, wenn wir unser Haus verkaufen wollen – wer hilft uns dabei, einen marktgerechten Gegenwert für unsere Immobilie zu erhalten? Eine Technologie allein kann dies nicht leisten, vor allem nicht, wenn es um mehr als nur ein Standard-Einfamilienhaus geht. Hier werden wir wohl auch weiterhin auf die Erfahrung und Kompetenz von Immobilienmaklern, Bankexperten, und weiteren Drittparteien vertrauen, und auf ihre spezifisch auf unsere Bedürfnisse zugeschnittenen Dienstleistungen.

Blockchain bringt dann viel, wenn sie öffentlich anerkannt bzw. institutionalisiert wird

Was kann die Blockchain-Technologie also letztendlich tun? Was kann sie überhaupt, vor allem im Immobiliensektor, verändern? Eine Menge – aber das geht nicht im Alleingang und nicht ohne Zusammenarbeit mit den öffentlichen Vertretern. Natürlich lassen sich „unhackbare“, manipulationssichere Immobilienregister anlegen, welche jederzeit und Jedem eindeutig Aufschluss über die Historie einer Immobilie geben können. Hier muss sich jedoch der öffentliche Sektor an der eigenen Hand fassen und eine Bürgschaft für ein solches Register übernehmen, denn ohne rechtliche und amtliche Unterstützung bleibt es eben nur ein langes Register.

Durch Kooperation der öffentlichen Hand mit der Immobilienwirtschaft und anderen Wirtschaftszweigen liessen sich hier zudem innovative Lösungen für den Kunden realisieren, die alle relevanten Parteien einer Transaktion wie zum Beispiel Käufer, Verkäufer, Makler, Notare und Banken in Zukunft über eine einheitliche und neutrale Plattform zusammenführen. Der Austausch sowie die revisions- und manipulationssichere Speicherung von Vertragsdokumenten zwischen den einzelnen Parteien wären dabei ganzheitlich digital und von überall zugänglich. Eine eineindeutige Identifikation von Marktteilnehmern wäre hierfür eine notwendige Voraussetzung, könnte aber zudem als Dienstleistung die Due-Diligence-Prüfung in Immobilien- und Finanzsektor signifikant vereinfachen und auch der Steuerhinterziehung entgegenwirken.

Noch weiter gedacht könnten sich auch Immobilien in naher Zukunft, gerade im Residential-Bereich, unterstützt durch die Blockchain-Technologie zunehmend zu einem „fast moving consumer good“ – einem Verbrauchsgut – weiterentwickeln. Nach einem Jobwechsel könnte man folglich über eine App noch schnell eine neue Wohnung suchen und auch gleich mieten, seinen derzeitigen Wohnsitz verkaufen und gleichzeitig auch noch die Einkäufe erledigen – alles über Blockchain.

Jetzt loslegen und übergreifend kooperieren

Für die Immobilienwirtschaft heisst die Devise somit letztendlich handeln. Beispielsweise lassen sich auch bereits heute – wie das aktuelle Beispiel aus Schweden zeigt – auf Blockchain basierte Lösungen realisieren, die Transaktionen im Immobilienbereich ganzheitlich digital abbilden und alle Transaktionsteilnehmer digital miteinander vernetzen können. Viele Vorteile für Kunden sowie Dienstleister wären dabei bereits allein durch eine Kooperation von Immobilien- und Finanzindustrie realisiert. Durch eine Partizipation der öffentlichen Hand, wie zum Beispiel im Falle Schweden, würde zudem noch ein weiterer, zusätzlicher Mehrwert erreicht. An der Blockchain wird man nicht vorbeikommen, das ist richtig. Aber darum geht es auch nicht. Es geht vielmehr darum, die Welle zu erwischen und an der Blockchain-Innovation teil zu haben – sowohl gesellschaftlich als auch wirtschaftlich. Noch lässt sich der Kurs mitbestimmen. Und dabei ist weniger gemeint, in Abgeschiedenheit an eigenen Lösungen zu entwickeln, sondern vielmehr aktiv zu kooperieren über Unternehmens- und Industriegrenzen hinweg, auch und vor allem aktiv mit der öffentlichen Hand – denn gerade dadurch definiert sich eine digitale Strategie von heute für eine digitale Zukunft von morgen.