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Micro-Living – Lösungsbringer für die Wohnungsknappheit?

März 27, 2018

Der Abstand vom Fenster zur Tür misst gerade einmal ein paar Schritte und auch vom Bett zum Kleiderschrank kann man fast greifen, der Sprung ins Bad ist schnell gemacht. Klingt nach quadratisch-praktisch-gutem Hotelzimmer. Ist aber fester Wohnsitz und Lebensmittelpunkt für eine immer grösser werdende Zahl von überwiegend jungen, alleinlebenden Grossstädtern. „Studio House“, „City Living“ oder „Mini-Loft“ heissen die meist komplett möblierten Micro-Living Apartments zwischen 20 und 35 Quadratmetern, die gerade für Young Professionals attraktiv sind. Weil sie schnelles Wlan und oft auch Smart-Home-Technik bieten. Weil das Design mit seiner Mischung aus Minimalismus und Industrial genau dem Zeitgeschmack entspricht. Und auch, weil sie manchmal die einzige Möglichkeit sind, schnell und vergleichsweise erschwinglich an mietbaren Wohnraum zu kommen.

     

     

Es ist nichts Neues, dass unsere Städte immer mehr Menschen anziehen und Wohnungen immer mehr zur Mangelware werden. „Am Beispiel Frankfurt wird das besonders deutlich“, sagt Sebastian Grimm, Team Leader Residential Valuation Advisory. „Den insgesamt seit 2011 über 62.500 neuen Einwohnern stehen gerade einmal 14.200 neue Wohnungen gegenüber. Um den Bedarf annähernd zu decken, müssten über mehrere Jahre mindestens 7.000 neue Wohnungen pro Jahr in Frankfurt errichtet werden. Mittelfristig schwierig mangels Bauland.“

Aber geht eine Bekämpfung der Knappheit nur über Bauland? Oder brauchen wir einfach noch effektivere Verdichtungsstrategien, darunter eben auch weniger Fläche für jeden Einzelnen? In dieser Situation kommt der Strahlungseffekt der Sharing Economy, auf dessen Welle auch das Wohnen in Mikro-Apartments (Micro-Living) schwimmt, gerade richtig. Wo zu wenig von etwas da ist, ist teilen angesagt. Und wer teilt, braucht für sich alleine nicht so viel Platz – klassisches „Outsourcing“ von Wohnbedürfnissen also. Wo in den meisten Häusern mit mehreren Mietparteien die einzelnen Bewohner nach kurzem Guten-Abend-Gruss bis zum nächsten Morgen hinter ihren jeweiligen Wohnungstüren verschwinden, ist das Micro-Living – auch mit Blick auf das Raumangebot – in vielen Projekten auf Gemeinschaft und die Bedürfnisse der in der Regel sehr jungen Zielgruppe ausgelegt: Kino im Keller, Yoga auf dem Dach, Lounges, Arbeitsräume.

Klingt nett, gesellig und irgendwie fortschrittlich. Aber steckt im Micro-Living noch mehr als nur ein Trend-Angebot für die wachsende Gruppe der Alleinlebenden? Kann Micro-Living entscheidend zur Lösung des Knappheitsproblems auf dem deutschen Wohnungsmarkt beitragen? Oder braucht es dafür andere Strategien oder gar gesetzliche Änderungen?

Anlagetrend mit Zukunft?

„Auf dem Wohninvestmentmarkt hat Micro-Living längst den Sprung vom alternativen Asset hin zur etablierten Anlageklasse geschafft“, sagt Susanne Gentz, Team Leader Residential Investment. „Viele namhafte Investoren sind bereit, gute Preise zu zahlen. Das zeigt sich unter anderem auch in der Entwicklung der mit Micro-Living verbundenen Transaktionsvolumina. In den letzten Jahren hat sich hier ein deutlicher Anstieg abgezeichnet mit bis zu circa 10.000 gehandelten Einheiten im Jahr 2016.“ Die Erwartungshaltung ans „Investment Micro-Living“ ist entsprechend hoch. Doch darf eines dabei nicht vergessen werden: „Mini-Apartments werden vor allem von der jüngeren Zielgruppe genutzt, seien es Studenten, junge Berufseinsteiger oder Business-Nomaden unter Fünfzig, die Wert auf räumliche Flexibilität legen“, so Gentz weiter. „Angesichts des Anstiegs der Single-Haushalte eine gute Investment-Zielgruppe, mit Blick auf die Altersstruktur unserer Gesellschaft aber zu kurz gedacht. Micro-Living ist vor allem dann ein zukunftsfähiges Investment, wenn bereits bei der Projektentwicklung eine Drittverwendung mitgeplant wird – mit dem Fokus auf die ältere Generation. Ist Barrierefreiheit mitbedacht? Ist eine eventuell spätere Umwandlung in ein Pflegeheim möglich? Eine solche Flexibilität sollte bei Mikrowohn-Projekten oberste Priorität haben.“

Lösungsbringer für die Wohnungsknappheit?

Ist der aktuelle Investment-Hype ums Micro-Living also der Lösungsweg hin zu einer Bekämpfung der Wohnungsknappheit? „In gewissen Dosen kann die Schaffung kleiner Einheiten die Not lindern“, sagt Susanne Gentz. „Aber das betrifft eben nur die Bedürfnisse der jüngeren, allein lebenden Zielgruppe unter 50 und die zentralsten Lagen einer Stadt. Grössere Wohnungen – und zwar ausgewogen in den einzelnen Stadtteilen – müssen genauso angegangen werden.“

„Generell lässt sich dennoch auch beobachten, dass das Produkt Wohnung bereits an den Mangel an Fläche angepasst wurde“, sagt Sebastian Grimm. „Die durchschnittlichen Wohnungsgrössen im „normalen“ Wohnsektor sind beispielsweise in Frankfurt um circa 7 Quadratmeter gesunken. Der Trend zum kleiner werden ist also definitiv gegeben.“

Hamburgs Erfolgsweg

Und generell braucht es ja auch mehr als ein Konzept gegen ein Problem, bei dem extreme Flächenknappheit einem oft rasanten Zuzug gegenüber steht. Ohne Zusammenarbeit und Feinabstimmung aller Akteure geht es nicht. „Das beste Beispiel dafür ist momentan Hamburg“, so Gentz. „Hier haben sich bereits 2011 Senat, Bezirke, Mietervereine, Verbände der Wohnungswirtschaft und öffentliche Baugesellschaften zu einem Bündnis für Wohnen zusammengetan, mit dem Ziel 6.000 neue Wohnungen pro Jahr zu schaffen. Seit 2016 liegt die Latte sogar bei 10.000 Wohnungen pro Jahr.“ Das Modell wirkt: Baugenehmigungsverfahren sind schneller abgeschlossen, durch den Verkauf städtischer Grundstücke stehen mehr bezahlbare Flächen zur Verfügung, mehr Fördermittel schaffen mehr bezahlbaren Wohnraum, dafür sorgt ebenfalls die gemeinsame und verlässliche Anwendung des Mietrechts, und der Erhalt stadtbildprägender Fassaden und Bauwerken kann gesichert werden.

„Der Erfolg und Vorbildcharakter des Hamburger Modells kommt mittlerweile auch über konkrete Zahlen deutlich zum Ausdruck“, sagt Sebastian Grimm. „Die Zahl der Baugenehmigungen ist seit 2010 um aussagekräftige 245 Prozent gestiegen. Auch die Leerstandquote bleibt auf stabilem Niveau – und das im Vergleich mit anderen Top 7 Städten bereits über den längsten Zeitraum hinweg. Miet- und Kaufpreise zeigen deutlich den geringsten Zuwachs. Zahlen, die – auch wenn der Markt aktuell noch nicht als ausgeglichen bezeichnet werden kann – die Richtigkeit von Konzept und Kooperation bestätigen und den Weg für zukünftige Kooperationen auch in anderen Städten zeigen.“

Durch die Einfügung des „Urbane Gebiete“-Paragrafen ins Baugesetzbuch ist zudem die Entwicklung von Urbanquartieren in den Fokus der Städte gerückt. Die Umnutzung bisher nur gewerblich oder auch industriell genutzter Bauten in Wohnraum trägt zur Schaffung ganz neuer, oft auch zentral gelegener, Stadtteile und Wohnlagen bei. Sebastian Grimm: „Derzeit plant Hamburg auf dem Kleinen Grasbrook eine neues Quartier mit der Grösse von einem Drittel der Hafencity. Neben eines hohen gewerblichen Anteils aufgrund der hafentypischen Nutzung im Umfeld sind rund 3.000 Wohnungen geplant. Allerdings handelt es sich mit der Neuentwicklung eines Stadtteils eher um eine Massnahme, die nur langfristig der Wohnungsknappheit begegnet, da sich der Realisierungszeitraum über mehr als 20 Jahre erstrecken wird. Und bis Identifikation stattgefunden hat und wirkliches städtisches Leben herrscht, vergeht einmal mehr Zeit.“

„Kurzfristig wirksamer sind da zum Beispiel gezielte Entschlackungen der Bauordnung“, sagt Susanne Gentz. „So können etwa Aufstockungen und Dachausbauten ohne nachträglichen Einbau eines Aufzugs ermöglicht werden. Ebenso machen eine Abschaffung der Stellplatzverordnung oder eine Lockerung von Regelungen zur Geschossigkeit bestimmter Strassenzüge Platz für mehr Wohnraum. Mögliche Auswirkungen dieser Massnahmen müssen jedoch immer sorgsam mitbedacht und von allen Beteiligten unterstützt und getragen werden.“ Und Sebastian Grimm ergänzt: „Eines der Hauptprobleme der Wohnungsknappheit ist, dass zu wenig Bauland verfügbar gemacht wird. Und das liegt nicht nur an fehlenden Baurechten, veralteten Bebauungsplänen oder zu langen Genehmigungszeiträumen, sondern auch an zunehmenden Bürgerprotesten gegen geplante Bebauungen freier Flächen. In solchen Situationen muss ernsthaft abgewägt werden, ab wann das Gemeinwohl über Partikularinteressen stehen sollte.“

Sind Grundstücke und rechtliche Voraussetzungen da, scheitert die schnelle Fertigstellung von Projekten oft an den sehr beschränkten Kapazitäten der Bauindustrie und enormen Baukosten, die sich unter anderem auch durch Planungsfehler noch weiter erhöhen. „Lösungen sind zum einen in einem Ausbau und einer zunehmenden Professionalisierung des seriellen Bauens und in der Digitalisierung zu finden“, so Grimm weiter. „So stellt beispielsweise die Lechner Group im Glockengussverfahren mittlerweile ganze Räume inklusive Anschlüsse her, die flexibel verbaut und kombiniert werden können, und verkürzt damit herkömmliche Bauzeiten um die Hälfte und reduziert Kosten wie Materialverbrauch. Gerade für eine schnellere und wenig bis kaum fehleranfällige Planungsphase erweist sich Building Information Modelling – kurz: BIM – als zukunftsweisend. Spätestens jetzt sollten die Branche wie die Politik verstärkt auf eine Digitalisierung des gesamten Bauprozesses setzen, so wie das etwa in China schon lange der Fall ist.“

Letztlich gilt: Viel hilft viel. Aber es gibt eben mehr und weniger erfolgreiche Strategien VIEL Neues überhaupt bauen zu können.

Von Antje Dalichow